„Divergierende Ansichten“ hätten „zur Auflösung des Dienstverhältnisses“ geführt. Der 56-jährige Chefredakteur des wesentlichen Landesmediums habe "divergierende Ansichten über die künftige Schwerpunktsetzung und Ausrichtung der Wochenzeitung als Qualitätsmedium", bekrittelt die Eigentümer-Vertreterin. Die erst kurz für das Medienhaus wirkt. Ganz kurz im Vergleich zu den 30 Jahren des geschassten Top-Journalisten.
Was mag sich hinter diesem fein gesetzten „divergierend“ verbergen? Die Herkunft des Worts hilft vielleicht: lateinisch divergere, dis- = auseinander und vergere = sich erstrecken; hinstreben.
Oje: Da gab´s also ein Auseinanderstreben. Wohl sogar: im Gegensatz/Kontrast stehen.
Nicht einfach – was den Nährstoff jeder Demokratie ausmacht – ein sich unterscheiden, von etwas abweichen, sich abheben, nicht übereinstimmen, sich unterscheiden, variieren, verschieden sein, differieren. – Aus diesen Quellen formieren Kreative ihre Spitzenleistungen.
Nein: brutale Opposition! Wie mag der „oppositionelle Geist“ sich dieses gut gewachsenen, verdienten, über die Jahrzehnte „landespolitisch“ wohl best-sozialisierten Redakteurs bemächtigt haben?! Und welche – unverzeihlichen – Ausprägungen zeigten sich?
*) Hat er gar verweigert, die neue politische Leitkultur – einer Landeshauptfrau – anzuerkennen?! („Nein, ich hör weiter nur auf den Erwin!“)
*) Wollte er ein Landesviertel abschaffen („Die paar Waldviertler holt eh keiner hinter den Restlingen hervor!“)
*) Oder, was sicher der gewaltigste Fauxpas im katholischen Medienhaus gewesen wäre: Er wollte ein blaugelbes Pin-Up-Girl auf die Seite 5 setzen. („So steigern wir endlich die Auflage!“)
Klar ist: In Systemen herrschen (ungeschriebene) Gesetze –
die stärker gelten als die überall in Großbuchstaben lesbaren „Leitlinien“, die
das „Gute, Wahre und Schöne“ in blumigen, gegenderten Formulierungen preisen.
Hinter den System-Kulissen weiß man, wie der Hase läuft: bzw. wie viele Hasen
aus welchen Richtungen. Sechs schwarz-türkise Bunnies treffen auf zwei rote, einen
blauen und einen grünen. Wenn schon. Das ergibt hundertprozentige
Berichterstattung, wie wir sie wollen. Wir sind übereingekommen, dass wir
einander „nette Reviere“ zugestehen – und leben lassen. Und wer mitspielen will
– an den oberen Rädchen des Systems mitdrehen möchte – muss die Spielregeln
intus haben. Und genau wissen, wen er alle in welchem Verhältnis zu bedienen
hat: die Kirche, die Politik, die Kooperations-Partner aus Wirtschaft und
Kultur, auch ein bisschen Society, die Mächtigen und jene, die’s zu sein
glauben. Ab und zu darf ein Exot auftreten, über den das System amüsiert den
Kopf schütteln kann …
Was ich nicht verstehe: Das alles wusste der Chefredakteur
garantiert … Wie konnte es da zu „divergierenden Ansichten“ kommen? – Will gar
die neue Eigentümervertreterin „die Fenster und Türen öffnen“?! – Dann mag man
ihr viel Erfolg wünschen; Kenner des Systems zucken erfahren mit den Schultern:
Frischluft – oder gar Zugluft – ist das Letzte, das etablierte Systeme wollen …